Leseprobe Glossen u. Kolumnen
Der Männer eigen(er) Sinn
Vielleicht kommt ihnen Folgendes bekannt vor: Seit Wochen macht der Trockner merkwürdige Geräusche. Immer wenn sie die Wäsche entnimmt, ruft sie über die Schulter ihrem – meist Sportkanal schauenden oder Zeitung lesenden – Ehemann zu: „Schaaatz, der Trockner rattert so komisch, den musst du dir mal ansehen.“
Vom darauffolgenden „Ja, ja, mach ich schon“, etwas beruhigt, wird besagter Trockner immer wieder befüllt. Diese Szene wiederholt sich bis zu dem Tag, an dem die Ehefrau nicht im Hause weilt und das Entladen des Trockners an den Ehemann delegiert hat.
Empfangen wird sie mit vorwurfsvoller Miene und der umwerfenden Neuigkeit: „Der Trockner rattert ja fürchterlich, warum sagst du denn nichts?“ Vermutlich leiden Männer an temporärer Taubheit.
Beim heutigen Mittagessen zeigte sich mir allerdings noch eine weitere Variante. Nach einem geschäftigen Samstagvormittag mit den üblichen mitteleuropäischen Gepflogenheiten einer Durchschnittsfamilie sitzen wir entspannt vor unseren Schinkennudeln. Da mein lieber Mann die Angewohnheit hat, alles stehen und liegen zu lassen, um mit dem Hund Gassi zu gehen, habe ich kurz vorher sein Werkzeug im Garten vor einem überraschenden Regenguss gerettet.
Auf mein: „Ich habe dein Werkzeug in die Garage geräumt, es hatte nämlich angefangen zu regnen“, bekomme ich keine Antwort, kein Nicken, nichts.
Er kaut an seinen Nudeln. Verblüfft schaue ich erst ihn, dann meinen Sohn an. Dessen Grinsen wird breit und breiter. Ich fixiere meinen Mann. Jetzt will ich es wissen. „Was habe ich eben zu dir gesagt?“, frage ich listig.
Seelenruhig und vollkommen ernst erwidert er: „Du hast meine Sachen weggeräumt, damit es regnet.“
Während mein Sohn sich vor Lachen nicht mehr einkriegt, wird mir klar, dass sich Männern, aus dem was Frauen sagen, oft ein ganz eigener Sinn erschließt.
Die Frage „Hörst du überhaupt zu?“, sollte also künftig besser lauten „Was genau hast du eben gehört, mein Schatz?“
Fröhlich altern!
So ist es mir gestern Abend ergangen. Ich starrte erschrocken in dieses einstmals sehr schöne Gesicht einer bekannten Schauspielerin. Völlig verändert, erlahmt, irgendwie unecht. Und was heißt Gesicht - eine leblose erstarrte Maske sah mich an. Du meine Güte die Frau hatte zudem pralle, wie aufgeblasen wirkende Wangen bei einem Lebensalter von fünfundsiebzig Jahren!
Das muss man sich einmal vorstellen. Die Diskrepanz zu ihrer (Pardon) normal alten Augenpartie und dem ebenso gealterten Hals (wie bei Menschen dieses Alters eben üblich) wirkte sehr befremdlich.
Ich war enttäuscht, dass diese tolle Person nun offensichtlich auch dem Jugendwahn erlegen war. Denn ein Wahn ist es.
Leute, wir werden alle nur älter und das ist gut so, möchte man laut rufen. Verdammt noch mal, nehmt das endlich zur Kenntnis. Was ist denn schön an künstlich gestrafften Gesichtern, an zombieartigen Zügen?
Kommt doch bitte zur Vernunft! Und schaut euch ein normal gealtertes Gesicht bewusst an. Wie schön das sein kann. Die feinen Linien, die wir verächtlich Falten nennen, geben so einem Antlitz etwas Interessantes und Wertvolles: nämlich Lebendigkeit. Diese Lebendigkeit sollten wir pflegen, nicht einem Wahn nachlaufen.
Ewige Jugend gibt es nun mal nicht. Ihr Vortäuschen macht uns nicht jünger, sondern älter, viel älter. Und - seien wir doch ehrlich - Konformität ist nichts Erstrebenswertes!
Leben heißt Lebendigkeit spüren und sehen. Stehen wir zu uns und unserer individuellen Erscheinung - auch und besonders beim Älterwerden. Lasst uns Lach- und Lustfalten zeigen!
Wir dürfen das!
Falls Sie erwachsene Kinder haben, kommt Ihnen das ja vielleicht bekannt vor.
Unser Sohn, technisch stets up to date, wie das heute so üblich ist, versucht unverdrossen, seine Oldies immer mal wieder teilhaben zu lassen an den Errungenschaften der technisierten Welt.
So auch gestern Morgen. Er hält mir, die ich nach der zweiten Tasse Kaffee gerade so weiß, wie ich heiße, sein Handy unter die Nase, auf dem in winziger Schrift etwas steht, und kommandiert liebevoll: „Lesen, Mama!“
Das Handy zu nahe, der Tag zu früh, das Koffein noch ohne jede Wirkung, versuche ich es trotzdem ernsthaft und meine schließlich so etwas wie »tau, kau, wau« zu entziffern, was ich auch lauthals kundtue.
Daraufhin zieht sich die linke Braue unseres Sohnes – schmerzlich? – in ungeahnte Höhen.
Zu meinem Glück erscheint der Herr Papa auf dem Plan. Nicht weniger verschlafen und zudem ohne Lesebrille wird auch ihm das Handy vor die Nase gehalten.
Interessiert verfolge auch ich nun die entziffernden Bemühungen meines Göttergatten. Angestrengt fixiert er das Display. Schließlich meint er das Richtige erkannt zu haben und vermeldet triumphierend: „Hier steht tai, tau, tai!“ Dann gönnerhaft zu mir gewandt: „Das du das nicht lesen kannst, Schatz.“
Unser Sohn schaut erst mich an, dann seinen Erzeuger um schließlich die Schrift auf dem Display zu überprüfen. Darauf steht, nach wie vor unverändert: „toi, toi, toi“. Tief durchatmend und kopfschüttelnd meint er: „Leben mit Senioren!“
Wir Oldies sehen uns an und lachen. Was für ein herrlicher Morgen. Ja, denke ich mir, wir Senioren. Und ihr alle dürft nun mit uns leben, und zwar fröhlich. Natürlich hat nicht jeder den trockenen Humor unseres Sohnemanns. Aber was soll´s, jetzt sind wir dran.
Ja, wir Senioren dürfen das. Wir dürfen ulkige Sprüche kundtun, etwas nicht lesen können, technisch hinter dem Mond oder sonst wo sein. Wir dürfen nachfragen so lange wir wollen und auch mal langweilen mit alten Geschichten. Wir dürfen das und wir sollten es genießen.
Insofern möchte ich den Ausspruch unseres Ablegers noch ergänzen: „Leben mit Senioren und – schmunzeln. Aber liebevoll!“
Ich bin an manchen Tagen jünger als …
Jetzt mal ehrlich. Ist es nicht ermüdend, dauernd nach Normen eingeschätzt zu werden? Kaum, dass man mal nette Menschen kennen lernt, sei´s im VHS-Kurs, bei Partys oder beim neuen Stammtisch, schon scheint alle zu interessieren, was man beruflich macht und wie alt man ist. Kann ich nicht einfach mal als Mensch bestehen. Nur als Mensch. Der, der ich eben jetzt in diesem Augenblick bin und sein möchte? Ich möchte nicht die Schublade „erfolgreich“ oder „spießig“ öffnen, obwohl manche Zeitgenossen genau das erstrebenswert zu finden scheinen – meistens die Ersten der oben Genannten. Auch die Zeitschublade lasse ich geschlossen. Selbst wenn alle Neulinge sich gerne vorstellen mit Namen, Beruf und Alter. Weshalb? Damit sich die attraktivsten Hirnschichten bei den Zuhörern automatisch öffnen und den Neuling reinlassen. Ich möchte lieber draußen bleiben, erstmal. Wenigstens für eine kurze Zeit mich der Illusion hingeben, auch ohne schmückende Berufsbezeichnung mit entsprechender Altersangabe, jemanden für mich – nur für mich als Person – zu interessieren. Dass wir alle sozialisiert sind, wissen wir doch. Damit brauchen wir uns nicht zu brüsten. Dass neunzig Prozent der Bevölkerung einen Beruf erlernt haben – hierzulande wenigstens – dürfte auch bekannt sein. Dass, was heute noch interessiert, ist doch etwas ganz anderes. Mich zum Beispiel fasziniert immer noch der Mensch an sich. Da sitzt mir ein sympathischer Mensch gegenüber. Das lasse ich auf mich wirken. Bitte zerstört mir meinen Genuss nicht. Ich will jetzt einfach nicht wissen ob er
a) Verheiratet ist (in einer Beziehung ist er zu achtundneunzig Prozent, sympathische Menschen bleiben nun mal nicht ein Leben lang unentdeckt).
b) Ein Studium abgebrochen oder eine Ausbildung beendet hat (so entspannt, wie der da sitzt, hat er vermutlich seinen Berufsweg gefunden).
c) Dreißig, vierzig oder sechzig Jahre alt ist (dass er um die vierzig sein muss, lässt sich unschwer erkennen).
Da haben Sie es. Genau das meine ich. Ohne, dass uns jemand Auskunft gibt, meinen wir genug über einen Menschen zu wissen. Ganz ohne Vorstellungsrunde. Weil wir gar nicht anders können als einzuschätzen. Weil wir uns sogleich ein Bild machen wollen/müssen über unser Gegenüber. Stammt wohl aus grauer Vorzeit, liegt uns in den Genen zum Überleben unentbehrlich. Ich checke mein Gegenüber. Freund oder Feind. Gefährlich oder harmlos. Eventuell sogar nützlich?
Lassen wir das, wir sitzen ja nicht mehr in den Bäumen. Ohne dass wir es wollen, schätzen wir also die Menschen, denen wir tagtäglich begegnen, ein. Vermutlich liegen wir oft gar nicht so daneben. Eben. Beim Alter aber kann man sich genial täuschen. Dank moderner Lebensweise pflegen sich heute auch Männer, treiben auch Faulbären Sport und achten Leckermäuler aufs Gewicht. Also, die Frage nach den Jahren erstmal offen lassen. Wie wirkt mein Gegenüber auf mich? Was erzählt es wie. Gefällt mir das? Mag ich sie oder ihn? Wir sollten mehr auf der Suche nach wirklich interessanten Menschen sein. Nicht immer gleich, „könnte der oder die zu dem oder der passen?“, denken. Nein, einfach wirken lassen und sei es nur für diesen Abend. Ein gutes Gespräch mit einem Menschen, der ein gutes Gefühl verbreitet. Das ist das Gegenteil von Oberflächlichkeit. Das sollte der angestrebte Umgang sein. Und wenn ich mich selbst wieder irgendwann erwische, oberflächlich abzuchecken nehme ich mir vor, diesen Satz zu denken:
Ich bin an manchen Tagen jünger als in jungen Jahren.
An diesen Tagen werde ich auf die Frage nach meinem Alter natürlich auch genau damit antworten.